Obstbau im Wandel

Vor- und Frühgeschichte

Schon die Steinzeitmenschen haben Wildformen unserer heutigen Obstarten gesammelt und verzehrt, teilweise wohl auch durch Dörren haltbar gemacht. Älteste Apfelfunde auf deutschem Siedlungsgebiet stammen aus einer 6.000 Jahre alten Bandkeramikersiedlung bei Heilbronn. Weitere Funde wurden in Pfahlbauten am Bodensee, der Schweiz und Österreich entdeckt. Alle diese Funde sind dem ’Holzapfel’ (Malus sylvestris) zuzuordnen. Der Holzapfel zeichnet sich im Vergleich zum Kulturapfel durch die geringere Fruchtgröße (bis 30 mm), und dem herben Geschmack aus, er ist allerdings nicht der Vorfahre unserer heutigen Kultursorten.

Unser heutiger Apfel entstand vermutlich aus Wildformen  im Kaukasusgebiet, wo schon vor 10.000 Jahren die wertvolleren Sorten ausgelesen und in Siedlungsnähe gepflanzt wurden, man kann hier also schon von Obstbau sprechen. Erst in der Römerzeit gelangten Kultursorten auch nach Mitteleuropa. Die Römer bauten das Obst überwiegend in den Gärten in der Nähe ihrer Villen an, auch das Mostmachen war ihnen bereits bekannt. Im Mittelalter wurde der Obstbau vor allem durch die Klöster und die königlichen Mustergüter gefördert, die seine wesentliche Bedeutung für die Ernährung zu schätzen wussten.  Im 15. und 16. Jahrhundert dehnte sich der Obstbau etwas mehr in die freie Landschaft aus, erfuhr aber durch den dreißigjährigen Krieg einen lang währenden Rückschlag.

Beginn des großflächigen Obstbaus

Erst im 18. Jahrhundert entstehen in Deutschland, Frankreich und England die ersten Schriftwerke mit Sortenbeschreibungen. 1793 gibt Johann Caspar Schiller, gebürtiger Bittenfelder,  der Vater des Dichters, sein Werk über die Obstbaumzucht heraus. Er gab wichtige Anstöße und wurde zum Begründer des neuen wissenschaftlichen Obstbaus in Württemberg. Im ganzen Neckarland, in der Voralb, am Keuperstufenrand sowie in den Randlagen von Schwarzwald und Odenwald entstand in jener Zeit großräumig Streuobstbau mit Hochstämmen auf Sämlingsunterlage. Zunächst war eine Doppelnutzung als sogenannte Baumäcker üblich, bei denen unter den Obstbäumen Feldfrüchte wie Getreide und Kartoffeln angebaut wurden. Erst wesentlich später, mit zunehmender Bedeutung der Milchwirtschaft wegen des verbesserten Molkerei- und Transportwesens überwogen die Obstwiesen oder -weiden, wie wir sie heute noch kennen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führt Gartenbauinspektor Eduard Lucas die ersten Baumwartlehrgänge in Hohenheim durch, später, 1843, wird die Hohenheimer Gartenbauschule gegründet. Auf ihn geht ein noch heute gebräuchliches Standardwerk zum Obstbau zurück (Lucas' Anleitung zum Obstbau, aktuell in der 32. Auflage). In dieser Zeit begann besonders in Württemberg die gezielte Ausbildung von Baumwarten. Bereits um die Jahrhundertwende waren viele Orts- und Bezirksbaumwarte aktiv und sorgten für die breite Weitervermittlung von Kenntnissen über Sortenwahl, Pflanzenschutz, Schnitt und Düngung im Obstbau. Auch die Gründung von Obst- und Gartenbauvereinen erlebte in dieser Zeit einen Höhepunkt. Der starke Rückgang des Weinbaus durch mehrere Frostwinter und durch die Verbreitung der Reblaus führte zu einer Ausweitung des Obstanbaus, man brauchte ja nun mehr Mostobst. In Schwaikheim lässt sich dies im Hohreusch und im Schönbühl beobachten, wo das Obst zunehmend den Weinbau verdrängte.

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20. Jahrhundert: gezielter Anbau von Tafelobst

Kreisobstbauamtmann Otto Strobel, der 1929 als junger Oberamtsbaumwart nach Wailblingen kam, beschrieb die Situation des Obstbaus in unserer Gegend folgender Maßen (veröffentlicht in der Festschrift zum 38. Landesobstbautages am 03./04. Oktober 1964 in Winnenden):

Als ich [...] die ersten Besichtigungen von Obstanlagen durchführte, war ich überrascht von dem fast unglaublichen Behang mancher Bäume. Das sind „Wagenbäume“, wurde mir erklärt, das heißt diese Bäume bringen einen ganzen Wagen voll Obst. Es war für meine Begleiter eine Genugtuung solche Bäume zeigen zu können. Nach den Sorten gefragt, musste ich allerdings feststellen, dass meine pomologischen Kenntnisse doch nicht so groß waren, wir mir von meiner Dienstelle in Hohenheim im Abgangszeugnis bestätigt wurde. Ich hatte dort in den vielen Jahren meiner Tätigkeit eine Unmenge Sorten kennengelernt. Es gab zwar viele Sorten von Äpfeln und Birnen, welche dort wie auch hier anzutreffen waren. Sehr viele Namen hatte ich allerdings noch nie gehört. In jeder Gemeinde gabe es neue Überraschungen. [...]

Wie in anderen Gebieten, so machte sich auch in unserem Kreis das Sortenvielerlei nachteilig bemerkbar. Dem Tafelobstanbau war zwar schon Beachtung geschenkt worden, es waren aber noch zu viele Lokalsorten darunter. Ich bekam im gleichen Jahr meines Dienstantrittes den Auftrag mich für den Absatz besonders von Tafelobst einzusetzen. Eine Umfrage bei den Obstbauern zeigte mit aller Deutlichkeit den Nachteil der vielen, nach außen hin unbekannten Lokalsorten. Großangebote einheitlicher bekannter Sorten waren unmöglich. Um weiterhin einen Überblick über den Anbau zu bekommen, wurden in den Folgejahren Obstausstellungen durchgeführt. Durch dieselben wurde eine gewisse Klarheit im Obstbau geschaffen.

In der Zeit ab 1933 wurden die Obstbauvereine im Rahmen der Gleichschaltung in den Reichsnährstand zwangsintegriert, schließlich musste die „Erzeugungsschlacht“ auch im Obstbau geschlagen werden. Typisch für diese Zeit bis in den zweiten Weltkrieg hinein war, dass man ohne Rücksicht auf Verluste und mit hohem Einsatz an Pflanzenschutzmitteln soviel wie eben möglich herausholen wollte – so auch in Schwaikheim.

In den späten vierziger Jahren wurden noch einmal in großer Anzahl Hochstämme durch den Verein beschafft. Die hochstämmigen Streuobstweisen mit Doppelnutzung von Obst und Gras waren bis in die fünfziger Jahre hinein charakteristisch. Dies änderte sich drastisch mit dem Generalobstbauplan für Baden-Württemberg (1957) mit dem der heimische Obstbau markt- und wettbewerbsfähig gemacht werden sollte. Er propagierte den Anbau niederstämmiger Baumformen und führte zusammen mit Rodeprämien zu einem Rückgang des Streuobstbaus und der Konzentration auf wenige Tafelobstsorten, um dem Verbraucher gleichbleibende Qualitäten liefern zu können und insgesamt die Qualität des Obstes zu steigern. Seit jener Zeit haben sich Tafel- und Streuobstbau voneinander entfernt. Der Württembergische Landesobstbauverein unterstützte die dringend notwendige Bereinigung des Sortiments, in dem er Pfropfreiser zur Verfügung stellte und Fachleute entsandte, die zeigten, wie die vorhandenen Bäume veredelt werden konnten. In diese Zeit fällt auch die Errichtung der Gemeinschaftsobstanlage im Breitlauch, die über mehrere Jahre die Arbeit des Vereins prägte. Diese Gemeinschaftsanlage galt als wegweisend und äußerst fortschrittlich. Zum ersten Mal konnten die durch Realteilung zersplitterten Besitzverhältnisse bereinigt und eine zusammenhängende  Fläche von acht Hektar ausgepflanzt werden.  Auch die Vermarktung wurde durch die Einrichtung von Erzeugermärkten und Absatzgenossenschaften wie der Obstgroßmarkt der WLZ in Backnang,  wesentlich verbessert, so dass auch in Schwaikheim einige Betriebe (im Nebenerwerb) Obst für die Vermarktung anbauten. Der Erfolg dieser Modernisierung des Obstbaus in Schwaikheim lässt sich insbesondere auch an den Sortenausstellungen ermessen, die der Verein in dieser Zeit organisierte. Lange Jahre diente der Breitlauch auch als Anschauungsobjekt in vielzähligen Rundgängen und Führungen. Heute dagegen dienen die Grundstücke zunehmend der Freizeitgestaltung, nur noch wenige Parzellen werden erwerbsmäßig mit heutigen Anbaumethoden bewirtschaftet. Dagegen nimmt sich mancher Baum aus dem ersten Satz als Methusalem aus.

[Bild: Sortenausstellung]

Grüne Revolution bis heute

Der Obstbau der sechziger und siebziger Jahre war geprägt durch die weitere Intensivierung des Tafelobstanbaus. Dies wurde unterstützt durch die Selektion schwach wachsender Unterlagensorten, die immer niedrigere Baumformen und dichtere Pflanzungen ermöglichten. Mit zunehmenden Ansprüchen der Verbraucher einher ging ein steter Wandel im Sortiment, hin zu Sorten mit höheren Zucker- und Säuregehalten, regelmäßigen Erträgen und guter Haltbarkeit in gekühlten Lägern – allerdings zulasten der Sortenvielfalt. Gleichzeitig nahm auch die Zahl der Betriebe stetig ab, die Tafelobst zur Vermarktung anbauen; heute ist in Schwaikheim nicht mal mehr eine Handvoll übrig. Der weitaus größte Teil des hier verzehrten Obsts wächst außerhalb der Gemarkung, teilweise reisen Äpfel und Birnen um die halbe Erdkugel bevor sie hier im Regal liegen – obwohl die heutige Lagertechnik praktisch ganzjährig eine große Auswahl an Früchten in ansprechender Qualität aus der Region ermöglicht. Dem ständigen Wandel unterlag in den letzten vierzig Jahren auch die Kulturführung im Tafelobst. Wurde in den siebziger Jahren noch Pflanzenschutz nach einem festen Spritzplan betrieben, so orientiert sich die Düngung heute am Ergebnis von Bodenproben und ersetzt nur die mit der Ernte entzogenen Nährstoffmengen. Unter dem Stichwort integrierter Pflanzenschutz wird nur bei festgestelltem Bedarf und mit gezielt wirksamen nützlingsschonenden Pflanzenschutzmitteln ge- arbeitet. Zum Instrumentarium des heutigen Obstbauern gehört auch die regelmäßige Nutzung von Warndiensten im Internet, wo z.B. mithilfe spezieller Wetterstationen Prognosemodelle für wirtschaftlich wichtige Krankheiten erstellt und Beobachtungen von Schädlingen und ihrer natürlichen Gegenspieler veröffentlicht werden.

Das Streuobst blieb vor allem in Lagen erhalten, die für die Intensivierung nicht geeeignet waren wie z.B. Hanglagen, schlechtere Bodenqualitäten, spätfrostgefährdete bzw. kühlere Lagen etc.  Aber auch der Streuobstbau unterliegt dem Wandel. Obwohl auf den ersten Blick die Obstwiesen noch aussehen „wie früher“, und viele Stücklesbesitzer trotz der widrigen wirtschaftlichen Bedingungen engagiert ihre Bäume pflegen, so ist nicht zu übersehen dass viele Baumwiesen verbuschen. Viele Besitzer haben nur noch geringes Interesse an der Fortführung der obstbaulichen Nutzung und Pflege. Solange nur einzelne Parzellen aufgelassen werden, kann man dies durchaus als Bereicherung für den Naturhaushalt betrachten. Langfristig sind jedoch die angestammten Bewohner einer Streuobstlandschaft darauf angewiesen, dass die Wiesen gepflegt und abgängige Bäume auch wieder ersetzt werden.

Und wie geht es weiter?

Der Klimawandel macht auch vor dem einheimischen Obstbau nicht halt. Der stetige Anstieg der Jahresmitteltemperatur führt zu einer verlängerten Vegetationsperiode, für den Obstbau also zu einem längeren Zeitraum zwischen Austrieb und Ernte. Dies sind keine theoretischen Überlegungen, sondern beobachtbare Fakten.Früher war mit der Vollblüte frühestens in der ersten Maiwoche zu rechnen, während sie heute bereits Ende April liegt. Dies wurde an der Weinsberger Lehranstalt  eindeutig statistisch nachgewiesen: von 1962 bis 2007 hat sich die Vollblüte der Sorte 'Golden Delicious' vom 7. Mai auf den 26. April verschoben. Die Blüte ist heute also 11 Tage früher als in den 60er Jahren. Sogar noch mehr hat sich der Erntebeginn von 'Golden' verschoben, nämlich um 23 Tage. Dies liegt an den höheren Sommertemperaturen, die Äpfel brauchen also weniger Tage zwischen Blüte und Ernte um auszureifen als früher.

Welche Auswirkungen hat das nun auf den Obstbau im allgemeinen? Es liegt auf der Hand, dass künftig Obstsorten mit höheren Wärmeansprüchen angebaut werden können. Niemand diskutiert heute mehr darüber, ob man wohl im mittleren Neckarraum einen 'Braeburn' erfolgreich anbauen kann, die Sorte gehört heute zum Standard und noch spätere werden bereits ausgepflanzt. Und der sehr spät reifende 'Bittenfelder', früher oft genug Anfang November im Schneeregen vom Baum geschüttelt, erreicht heute Öchslegrade, die in den 70ern manchem Remstal-Riesling gut getan hätten...

Aber der Klimawandel hat für den hiesigen Obstbau auch negative Folgen. Die frühere Blüte bringt ein höheres Risiko für Schäden durch Spätfrost mit sich. Ausserdem erwarten die  Klimaforscher, dass extreme Wetterereignisse zunehmen. So werden wir uns wohl auf häufigere und schwerere Gewitter und Hagelschläge einstellen müssen, was wir ja gerade in jüngster Zeit schmerzlich erfahren. Unzweifelhaft wird sich der Obstbau an die sich wandelnden Klimabedingungen anpassen müssen, mit einem erweiterten Sortenspektrum einerseits wie mit höherem Aufwand für die Hagelabwehr oder Gefahrenversicherung andererseits.

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